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Berlin, Alexanderplatz - die Geschichte mehrerer

16. Januar 2025

Alexanderplatz dröhnt die Metrostimme. Wir halten an und ich drängle mich zwischen den Passanten links und rechts neben mir durch. Ich bin das erste Mal in Berlin, nun endlich besichtige ich auch den berühmten Alexanderplatz. Von diesem Platz, dem Alex, habe ich schon so viel aufgeschnappt, doch mir wurde nie klar was daran so speziell sei.

Metroschild, M.W. 2024

An diesem Abend stand Franz Biberkopf am Alexanderplatz an einer Litfasssäule und studierte eine Einladung der Kleingärtner von Treotow-Neukölln und Britz zur Protestversammlung nach Irmers Festsälen, Tagesordnung: die willkürlichen Kündigungen. "Hier am Alex, Franz, was du sagst, da hätt ich dir doch mal treffen müssen. Läuft man an einem vorbei und hat keine Augen."

Aus der ferne erklingt Musik, deren Genre ich zuerst nicht identifizieren kann. Mein Blick fällt schnell auf die Ansammlung der Menschen. Was ist da? Ich quetsche mich leicht durch, bis ich ganz vorne an der Menge stehe und einen optimalen Blick auf die Bühne habe. Plötzlich klackst es und Stepptänzer und Tänzerinnen treten von allen Seiten auf die Bühne. Der Himmel ist klar und alle lachen. Ich spähe gespannt auf das Spektakel, bis sich die Kompanie verbeugt und der nächste Programmpunkt ansteht.

Tanzaufführung am Alexanderplatz, M.W. 2024

Eine Handvoll Menschen um den Alex – am Alexanderplatz reissen sie den Damm auf für die Untergrundbahn. Man geht auf Brettern. Die Elektrischen fahren über den Platz die Alexanderstrasse herauf durch die Münzstrasse zum Rosenthaler Tor. Rechts und links sind Strassen. In den Strassen steht Haus bei haus. Die sind vom Keller bis zum Boden mit Menschen voll. Unten sind Läden.

Am Alexanderplatz wimmelt es teilweise von Touristen. Dementsprechend finde ich viele Touristenshops vor. Ich lasse meine Finger durch die unzähligen Armbänder und Halsketten gleiten. Es hat viele lustige Anhänger. Als ich ein Halskettchen mit einem Seepferdchen ertaste, sagt irgendein Impuls in mir, es für jemanden zu kaufen. Ich kaufe gerne Geschenke aus den Ferien. Ich bezahle bar, denn der Verkäufer hat keinen Kartenleser.

Touristenshop am Alexanderplatz, M.W. 2024

Eine angenehme Wärme liegt in der Luft, als wäre der Sommer noch nicht ganz weg. Es ist noch jackenfreier Lauf, doch der Herbst bringt hier und da frische Brisen mit sich. Im gleichmäßigen Rhythmus von zehn Minuten fährt die S-Bahn ein, wie ein Metronom. Die S7 rollt heran, öffnet zischend ihre Türen, nimmt Fahrgäste auf, entlässt andere und setzt ihre Fahrt Richtung Potsdam fort. Ein Obdachloser bewegt sich langsam durch die wartende Menge. Sein Blick sucht nach freundlichen Gesichtern, nach einer Hand, die eine Münze fallen lässt. Leise fragt er um etwas Kleingeld, doch die meisten weichen aus oder starren auf ihre Handys.

Sie waren am Alexanderplatz. Da war ein Auflauf, sie traten heran. Der Kleine sah zu Franz wütend auf: "Da leben Sie mal von fünfundachtzig Mark in Monat und kommen nicht weiter." "Aber Mensch, Sie müssen sich um den Absatz bekümmern."

Alexanderplatz, M.W. 2024

Etwa hundert Jahre später stehe ich hier und spüre seine subtile Anwesenheit. Dieser Franz oder vielleicht war es auch ein Peter. Jede Person, die hier gestanden hat, hat ihre eigene Geschichte. Vielleicht will sie anständig sein, oder auch nur ein Souvenir kaufen. Alle haben eigene Probleme und Missionen in ihrem Leben, doch hier trifft alles zusammen. Der Obdachlose und die Reiche, die Alte und der Junge, der fiktive Franz Biberkopf und ich. Ein Ort wie dieser bleibt standhaft, so viel Zeit auch vergehen mag. In hundert Jahren wird jemand anderes hier stehen und an diese Zeit denken. Der Alexanderplatz ist das Zentrum einer so grossen Stadt, lokal wie auch temporal.