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Einfach ist gefährlich

29. April 2025

Wir leben in einer Welt voller Widersprüche und komplexer Zusammenhänge – doch unser Bedürfnis nach einfachen Antworten ist beständig. Warum das gefährlich ist und wie die Abneigung gegen Komplexität politische Türen öffnet, zeigt dieser Blog.

In all meinen Schuljahren habe ich mich mit vielen komplizierten und komplexen Sachverhalten befasst. Aber was mich oft störte, war die ,Unfertigkeit‘ gewisser (kontroverser) Themen und Debatten. Wir konnten stundenlang in der Klasse über Themen wie Migration sprechen oder ethische Fragen diskutieren, viele Perspektiven anschauen, aber am Ende des Tages hatten wir keine wirkliche, einfache Lösung. Manchmal fragte ich mich, warum wir das alles besprechen, wenn wir doch nicht zu einem Punkt kommen. Mir wurde über die Zeit klar: Die Welt ist einfach kompliziert. Vermutlich werden wir nie alles bis ins letzte Detail verstehen, meist reichen jedoch auch Annäherungen der Dinge. Viele Prozesse sind hochkompliziert, sei es der biologische Stoffwechsel oder die Technologien in unseren Geräten. Alles ist chaotisch und hängt von Unmengen an Parametern ab. Wir leben in einem System, das sich oft mit keinen einfachen Lösungen zufriedengibt. Wir Menschen mögen jedoch einfache Lösungen, weil wir faul sind.

Wenn ich einen Blick auf die Politik werfe, wird mir dieser Gedanke besonders ersichtlich. Kürzlich durfte ich mich im Rahmen des Schulunterrichts mit zwei Politikern (SVP: Knutti und Grüne: Balthasar Glättli) über die Migration unterhalten. Hierbei merkte ich schnell: Herr Glättli sah die ganze Problematik viel differenzierter. Es kam mir vor, als hätte er wirklich verstanden, über was er spricht. Natürlich, Politiker:innen können sehr gut sprechen und einen überzeugenden Eindruck generieren. Die Argumente des SVP-Politikers waren stark „simplified“ und auf grundlegende Emotionen wie der Angst reduziert. Viele Menschen (immerhin ein Drittel der wählenden Schweiz) werden von genau solchen vereinfachten Argumenten abgeholt, da sie sie verstehen und emotional befürworten. Ich denke hier liegt aber auch das Problem. Wenn man einen Sachverhalt nicht wirklich versteht, oder verstehen möchte, dann hört man lieber auf die grundlegenden Emotionen, auf Angst, Wut, anstatt an ‚nervige‘ komplizierte Lösungsansätze, die auch nicht immer bis ins letzte Detail ausgearbeitet sind.

Schliesslich werde immer Leute wir Trump, Hitler oder Mussolini an die Macht kommen, die den Menschen einfache Lösungen ihrer Probleme versprechen. Was diese drei Menschen gemeinsam haben, ist eigentlich ersichtlich: Faschisten. Doch wie genau charakterisiert sich der Faschismus? Er kann in vielen Gewändern daherkommen und ist wirklich schwierig zu definieren.

Umberto Eco, ein italienischer Schriftsteller, charakterisiert in seiner Rede „Der ewige Faschismus“ den sogenannten Urfaschismus anhand von 14 Merkmalen. Er erklärt, dass der Begriff Faschismus zu einer Art Sammelbegriff geworden ist. Es existiert kein einheitlicher Faschismus, es handelt sich um eine diffuse Ideologie, nicht wie es bei der Nazi Ideologie der Fall ist. Er weist keine einheitlichen Merkmale auf. Der italienische Faschismus könnte man historisch als den grundlegenden sehen, er hat jedoch nicht alle Elemente die Eco dem Faschismus zuschreibt. Alle faschistischen Strukturen und Merkmale fasst er im Urfaschismus zusammen. Um den Faschismus zu erkennen, müssen jedoch nicht alle diese Merkmale vorhanden sein.

Eco spricht von dem Misstrauen gegenüber der intellektuellen Welt. Er nennt dieses Merkmal den Kult der Aktion um der Aktion willen. Der Ur-Faschismus will eine Aktion ohne Denken, damit sie schön ist. „Denken ist eine Form der Kastration“ (S.31). Der Ur-Faschismus lässt sich somit als Irrationalismus definieren. Auch die Sprache hindert die Anhänger:innen komplexe Dinge zu verstehen. Denn diese ist im Bereich des Vokabulars verarmt und hat eine vereinfachte Syntax. Für uns ist es schon schwierig, über beispielsweise Emotionen und die Psychologie fundiert und sachlich zu sprechen. Aber stellen sie sich vor, wir wären nur im Besitz von den Wörtern „glücklich“ und „unglücklich“, um über unsere Gefühle zu sprechen. Ein weiteres Merkmal des Ur-Faschismus ist der Kult der Überlieferung. Es gibt eine Wahrheit, die schon offenbart wurde, deshalb gibt es keinen Wissenschaftlichen Fortschritt. So müssen wir gar nicht denken, denn das wird von den Menschen, die die Wahrheit offenbart haben, und von „denen da oben“ übernommen.

Wer schaut schon eine zweistündige Dokumentation über den zweiten Weltkrieg, wenn ein 5-minütiges ‚oversimplified‘ Youtube Video existiert? Einfache Lösungen sind eben einfach und der Mensch liebt einfach. Wir Menschen sind faul (zumindest ‚Otto Normalverbraucher‘). Natürlich haben beispielsweise solche simplen Youtube Videos ihre Vorteile: Einige Menschen würden sich ohne diese gar nicht dem Thema widmen. Ich finde jedoch, dass ‚Oversimplification‘ gefährlich sein kann und er wird immer präsenter. Während die Menschheit wahrscheinlich immer dümmer wird, erlangen einfache Erklärungen Beliebtheit. Ich denke Donald Trump dient hierzu als Paradebeispiel. Dazu kommt noch, dass der Anstieg der Technologien, die unser Leben einfacher machen sollten, zum Beispiel KIs wie Chatgpt, die Menschheit nicht motivieren wird zu denken.

Hier klingeln bei mir die Alarmglocken. Diese Abneigung zur komplexen und intellektuellen Welt ist ein Merkmal des Urfaschismus laut Eco. Der Faschismus kann in verschiedenen Gewändern daherkommen. Deshalb müssen wir aufpassen. Wollen wir den Faschismus zurück? Oder besser, wie wollen wir ihn bekämpfen, denn er ist schon lange da (vgl. Deutschland, Europa, USA, die Welt).

Hoffentlich motiviert dieser Blog den einen oder die andere, Dinge zu lernen. Den Faschismus können wir mit Wissen bekämpfen – mit der intellektuellen Welt. Es ist nicht unsere Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist, doch es ist unsere Schuld, wenn sie so bleibt. Leider aber kann ich Ihnen keine klare und einfache Lösung für dieses Problem geben…

Umberto Eco 'der ewige Faschismus'

Bild Trump: https://edition.cnn.com/videos/politics/2016/02/28/donald-trump-mussolini-tweet-orig-vstan-dlewis.cnn (29.04.2025)